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Die Liebe zum Papier

Gespräch mit Katja Lindemann, Leiterin der Buchbinderei von BerlinDruck, über ihre große Leidenschaft.

 

Frau Lindemann, vor 16 Jahren haben Sie sich bei BerlinDruck mit dem bemerkenswerten Satz beworben: “Aus Liebe zum Papier bin ich Buchbinderin geworden.” Wann haben Sie sich verliebt?

Ich glaube, dass jedes Kind ganz bestimmte Vorlieben entwickelt. Bei vielen Mädchen sind das Pferde oder Tiere im Allgemeinen. Jungen fixieren sich eher auf Pferdestärken, also Autos oder technische Dinge. Bei mir war es von Anfang an das Papier: als Buch, zum Bemalen, zum Schreiben – und ganz besonders zum Anfassen.

Mit Papier kommen ja die meisten Menschen täglich vielfach in Berührung. Vom Kassenbon über die Zeitung bis zum Packpapier. Wie kann man zu so einem Massenprodukt “Liebe” empfinden?

Papier hat so unendlich viele Facetten – es ist Wissensträger, Kulturgut, Kommunikationsmittel. Bei mir war es aber ganz besonders die Haptik. Ich fasse Papier gerne an. Natürlich am liebsten ungestrichenes Naturpapier, zum Beispiel so etwas Wundervolles wie Gmund Kaschmir oder Conqueror von Arjowiggins.

Aber bei der Arbeit in einer Offsetdruckerei haben Sie nun mehr mit gestrichenen Papieren, matt oder glänzend, zu tun. Da ist die Oberfläche doch eher unspektakulär.

Ja, aber was viele gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen: Papier ist und bleibt ein 100-prozentiges Naturprodukt, das gerne Feuchtigkeit aus der Luft aufnimmt und sich damit verzieht. Oder das, bedingt durch die Faserrichtung des Zellstoffs, je nach Falzrichtung unterschiedlich reagiert. Alles Dinge, die man mit bloßer Technik nie in den Griff bekommt.

Das müssen Sie uns erklären. Druckweiterverarbeitung ist doch eigentlich Industriearbeit, die sicher nicht als »unbeherrschbar« bezeichnet werden kann.

So ist das auch nicht gemeint. Aber wir haben in Deutschland etwa 6.000 verschiedene Papiere im Angebot. Und in der Verarbeitung muss man natürlich immer die Besonderheiten beachten. Wir sprechen da in der maschinellen Verarbeitung von “Laufeigenschaften”. Während beim Drucken das Papier nur eine einzige Phase durchläuft – das Drucken –, sind bei der Weiterverarbeitung in der Regel mehrere Schritte zu berücksichtigen: Schneiden, Falzen, Heften, Leimen – um nur einige zu nennen. Beim Schneiden interessiert die Glätte des Papiers, beim Falzen eher die Laufrichtung und beim Leimen die Hygroskopie, die Aufnahmefähigkeit für Feuchtigkeit. Und da geht’s los. Jeder weiß, dass sich Papier bei Feuchtigkeit dehnt. Aber kaum einer weiß, dass es sich bei Trockenheit nicht wieder entsprechend “zurückzieht”. Dazu kommt ein Phänomen, das sicherlich viele Leute schon “am eigenen Leib” erlebt haben: die elektrostatische Aufladung von Papier. Da “klebt” plötzlich ein Kassenbon am Unterarm.

Und wo klebt der Druckbogen?

In der Falzmaschine. Es gibt tausend Tricks, um so etwas zu vermeiden. Aber viel mehr als die verarbeitungstechnischen Details haben mich immer die Möglichkeiten des Papiers selbst interessiert. Oder besser gesagt die Frage, welches Papier für welchen Zweck geeignet ist. Niemand schreibt gerne mit Kugelschreiber auf matt gestrichenes Papier. Eine Prägung gehört nicht auf ein HighGloss- Produkt. Und wer möchte schon einen Roman auf einem Papier lesen, das das Licht unangenehm reflektiert?

Haben Sie denn bei der täglichen Arbeit auf solche Dinge Einfluss?

Begrenzt. Aber: Ich werde gefragt. Meine Kollegen aus dem Verkauf kommen nicht selten zu mir und holen sich einen Rat. Besonders bei komplizierten Falzprodukten. Fast täglich “basteln” wir ein Weißmuster, ein sogenanntes Dummy. Und da weise ich immer auf die Besonderheiten hin. Vielfach sind daraufhin das Material oder komplizierte Seitenüberläufe mit zu engen Textstellungen verändert worden. Aber natürlich bemerkt man auch mal zu spät, dass im Dreiklang Druckvorstufe – Druck – Buchbinderei der letzte Schritt schon in der Anlage des Produkts hätte verbessert werden können.

Und dann?

Dann heißt es für mich ganz persönlich: Back to the roots. Jetzt hilft oft nur noch feinste Handarbeit. Und bei dunklen, unlackierten Flächen nicht selten sogar mit Leinenhandschuhen, um Fingerabdrücke zu vermeiden.

Da wären wir bei einem ganz besonderen Thema: Lack auf Papier.

Ein unendliches Thema – auf der einen Seite der Wunsch nach der unverfälschten Haptik des Papiers, auf der anderen Seite der Schutzlack gegen den Abrieb der Farbe. Lack kommt ja immer auch dann zum Einsatz, wenn nach dem Druck sofort verarbeitet werden muss und die Farbe keine ausreichende Zeit zur Trocknung bekommt.

Sie mögen also keinen Lack?

Oh doch. Der minimiert ja immer auch Probleme. Und wer mag schon Probleme? Der Schritt weg vom ölhaltigen Drucklack zum wasserbasierten Dispersionslack war bereits riesig. Und jetzt gibt es sogar Lacke, die nur den Farbabrieb schützen und auf nicht bedruckten Papierflächen praktisch unsichtbar sind. Aber trotzdem würde ich dem Papier gerne mehr Zeit zur Trocknung geben. Freitag drucken, ein entspanntes Wochenende und am Montag dann in unsere Buchbinderhände. Wenigstens für Naturpapier wäre das perfekt.

Wie stehen Sie zum neuesten Trend, dem UV-Druck, bei dem die Farbe schon absolut trocken aus der Druckmaschine kommt?

Ich habe ja bereits gesagt, dass ich den Naturcharakter des Papiers liebe. Und der wird durch den speckigen Kunststoffauftrag beim UV-Druck zerstört. Ich lege mir doch zu Hause auch keinen Parkettboden, den ich dann mit Acryllack anstreiche, oder?

Danke für diese klaren Antworten, Frau Lindemann.

 

KATJA LINDEMANN entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für Papier. Deshalb entschied sie sich für eine Lehre in der Handbuchbinderei von Manfred Urban in Hagen, die vor allem für die Universitätsbibliotheken Hagen, Dortmund und Bochum arbeitete. 1998 zog sie nach Bremen und landete bei BerlinDruck, wo sie heute die Buchbinderei leitet.