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Drucken à la Gutenberg

Über die Rennaissance der alten Technik:

Wir haben mit Erik Spiekermann darüber gesprochen, warum der weltbekannte Typograf und Gestalter, der viele berühmte Schriften entworfen und u. a. das grafische Erscheinungsbild der Stadt Berlin, das Leitsystem des Düsseldorfer Flughafens oder das Corporate Design von VW und Audi geprägt hat, nach 30 Jahren Arbeit mit dem Computer zum traditionellen Handwerk zurückgekehrt ist.

Herr Professor Spiekermann, was hat Sie dazu bewogen, nach 30 Jahren Arbeit am und mit dem Computer nun eine Werkstatt einzurichten und zu betreiben, in der auf ganz alte Weise mit beweglichen Lettern gedruckt wird?

Ich hatte immer eine große Nähe zur Produktion, zum Herstellungsprozess, war immer derjenige, der zu den Druckereien ging. Ich mag es einfach, Dinge anzufassen. Und genau darum geht es hier: Nichts geschieht per Tastaturbefehl oder Mausklick, man muss alles berühren. Man muss die Lettern auswählen, auch die Leerräume dazwischen konzipieren, alles anordnen, in die Maschine einlegen und nach dem Druck säubern und in die Schubladen oder Regale zurückpacken.

Sie wollten sich die Hände schmutzig machen?

Der Dreck interessiert mich dabei nicht so sehr. Es geht mir vor allem um die sinnliche Erfahrung und um die Frage, wie man sich das Material aneignet. Selber eine Druckvorlage erstellen und am Ende des Tages etwas Schwarz-auf-weiß-Gedrucktes mit nach Hause nehmen zu können, ist ein Erlebnis, das vergleichbar mit Musizieren oder Kochen ist. Wer einmal Pizza selber gemacht, die Zutaten ausgewählt und den Teig geknetet hat, wird nie wieder eine Tiefkühlpizza essen wollen.

Ändert sich Ihre Arbeitsweise durch die Umstellung von digital auf analog auch konzeptionell?

Man muss vorausschauender planen, weil es nun mal keine Löschtaste gibt, um das Getane wieder rückgängig zu machen. Und es existieren gewisse Beschränkungen. Man kann nicht alles machen, sondern muss im Rahmen dessen bleiben, was das Material einem erlaubt. Auch die Größe der Druckmaschine spielt ebenso eine Rolle wie die Ortsgebundenheit: Ich kann die Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. All das formt meine Gedanken – das ist der philosophische Aspekt dabei.
Die Arbeit mit einem modularen System, das immer die gleichen Buchstaben verwendet, legt einem eine Disziplin auf, die wir vom Computer her nicht mehr gewohnt sind: Mit Photoshop kann ich Bilder kreieren, die es noch nicht gibt, kann Schriften wie Bilder aussehen lassen bzw. umgekehrt Bilder kreieren, die an Schriften erinnern. All das kann ich hier nicht. Ich blicke in meine Schubladen, sehe, welches Papier, welche Drucktypen, welche Farbe ich habe, und überlege, welche Möglichkeiten mir das eröffnet. Nach 30 Jahren Arbeit am Bildschirm finde ich diese Form der Beschränkung sehr interessant, es ist eine Herausforderung, die eine eigene Ästhetik und Qualität in meine Arbeit bringt.

Sie erleben diese Limitierung also nicht als Zwang, sondern als eine Form der Freiheit?

Ja. Weniger entscheiden zu müssen, empfinde ich als Erleichterung. Ich und viele meiner Kollegen leiden darunter, ständig  Entscheidungen treffen zu müssen.

Ganz allgemein erfährt das Drucken mit beweglichen Lettern wie zu Gutenbergs Zeiten ja eine gewisse Renaissance. Wie erklären Sie sich das?

Neben einer Nostalgie für eine aussterbende Technik ist da auch der sinnliche Aspekt: Man kann sehen, wenn auf traditionelle Weise gedruckt wurde. Als Drucker und Typograf habe ich gelernt, dass die Lettern das Papier küssen müssen, eine sanfte Berührung, die nur eine minimale Prägung hinterlässt und einen weichen, pelzartigen Rand schafft, der so angenehm für das Auge ist. Wärme und Lebendigkeit werden auch durch den Farbauftrag vermittelt, der nicht immer ganz gleichmäßig gelingt. Was wir im Vergleich dazu auf dem Bildschirm sehen, ist unglaublich hart.
Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Ich gehöre zur letzten Generation, die in direkten Kontakt mit der Gutenberg’schen Drucktechnik gekommen ist, weil ich das als Sechzehnjähriger gelernt habe. Das ganze Equipment gibt es zwar noch, weil die Lettern und Maschinen nicht kaputtgehen, aber die Tätigkeit stirbt aus. Es kommen keine Leute mehr nach, die über das entsprechende Know-how zu ihrer Bedienung verfügen. Wenn wir unser Wissen also nicht weitergeben und die Tradition nicht fortführen, ist diese großartige Technik des Drucks mit beweglichen Lettern, die sich in den 500 Jahren seit ihrer Erfindung kaum verändert hat, zum Aussterben verdammt.

Mit Ihrem Engagement wollen Sie die Technik der Hochdruckschrift also retten?

Ich will zumindest versuchen, ihr wieder Leben einzuhauchen, indem ich die Gutenberg’sche Tradition mit den neuen Techniken der digitalen Welt verbinde. Beispielsweise wäre denkbar, unsere Lettern fräsen oder lasern zu lassen, aus Kunstharz auszuschneiden oder mittels eines 3-D-Printers auszudrucken. Das hat noch keiner gemacht.
Herr Professor Spiekermann, wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Hochdrucktechnik aus?

Ich bin fest davon überzeugt, dass sie in der Nische überleben wird, aber ob als künstlerisches Ausdrucksmittel, Freizeitbeschäftigung, Auseinandersetzung mit der Vergangenheit oder als eine Art »grounding«, um in der virtuellen Welt wieder Boden unter die Füße zu bekommen, ist völlig offen. Was die Hochdrucktechnik uns heute noch zu bieten hat, das gilt es ja gerade zu erforschen.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

 

spiekermann
Erik Spiekermann (* 1947) Setzer, Drucker, Kunsthistoriker, Informationsdesigner, Schriftentwerfer und Fachautor, Professor & Dr. h. c., Gründer von MetaDesign ’79 und FontShop ’89 – erhielt 2011 den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk.
Sein Designbüro Edenspiekermann ist in Berlin, Amsterdam, San Francisco, Stuttgart und London vertreten. Ende 2013 kam seine Buchdruckwerkstatt »Galerie P98a« in Berlin dazu. Umfassenden Einblick in Leben, Werk und Haltung Spiekermanns gibt Johannes Erlers Werkbiographie »Hallo, ich bin Erik«. (www.p98a.com, www.spiekermann.com, www.edenspiekermann.com)