Loader

Kein Papier! Marvin, was geht?

„Hallo Marvin, seit einem Jahr bist du bei BerlinDruck für Prozesssteuerung und Digitalisierung zuständig. Wie kommst du voran?

Marvin: Nun ja, der Titel steht vielleicht auf meiner Visitenkarte, aber seit drei Monaten habe ich einen ganz anderen Job. Ich würde mich im Moment eher als „Dealer“ oder als „Makler“ bezeichnen.

Interessant. Was „dealst“ du?

Mindestens vier Stunden pro Tag versuche ich Papier zu beschaffen. Und wenn es sein muss, auch mal etwas „durchreichen“. Mailen, telefonieren. Ich jage hinter jeder Palette hinterher.

Auf der BerlinDruck-Homepage habe ich mal gelesen, dass ihr mehr als 600 Papiersorten „Just in Time“, also Overnight besorgen könnt.

Ja, das klappte sogar noch im letzten Sommer. Aber Corona hat auch hier seine Spuren hinterlassen. In der Presse wird ja überall von der Papierknappheit berichtet. Zeitungen haben schon Umfänge reduziert, Mailings müssen verschoben werden und Programmzeitschriften werden immer dünner. Im Moment gibt es für ganz normale Sorten Lieferzeiten von bis zu 8 Monaten. Ich habe gerade gestern 14 Tonnen Papier bestellt, die wir für einen Kalender 2023 benötigen. Das Papier kommt dann – hoffentlich – im Sommer. Jetzt müssen wir nur noch den Auftrag vom Kunden bekommen. Aber da bin ich zuversichtlich.

Woran liegt es genau?

Es gibt mehrere Gründe. Es fehlt zum Beispiel gutes Altpapier. Was viele nicht wissen: Der Grundstoff für unser Papier besteht inzwischen zu über 70 % aus Altpapier. Und da ging in der Coronazeit die gesammelte Menge deutlich zurück. Der Bedarf an Versandkartonagen ist dagegen extrem gestiegen. Wir nennen das „Amazonitis“. Papiermaschinen, die noch vor kurzem Druckpapier produziert haben, wurden umgerüstet auf Kartonagenmaterial. Die wenigen Papierhersteller, die es noch gibt, haben sich dort große Zuwächse versprochen, während man den Bedarf für Print unterschätzt hat. Und ein dritter Punkt sind natürlich die gestörten Lieferketten. Jetzt im Januar gibt es zudem einen großen Streik in Finnland. Alle Papiermaschinen in einem der wichtigsten Lieferländer stehen bis zum Monatsende still.

Und wie wirkst du diesem Problem entgegen?

Es ist ja kein Geheimnis, dass unser Geschäftsführer aus der Papierbranche kommt. Und da muss das Netzwerk halt klappen. Wir bekommen z.B. einen Anruf eines Händlers, der 15 Tonnen Bilderdruck liefern kann. Da checke ich Format, Grammatur und Preis und schlage zu. Nicht morgen, sondern sofort. Ich weiß ja, was bei uns so läuft. Unser Außendienst nimmt bei Anfragen sofort Kontakt mit dem Kunden auf und sagt, was wir liefern können. Da wird aus glänzend auch schon mal matt – und gerade erst mussten wir einen Kunden davon abbringen, sein Mailing auf 100 % Recycling auszusenden.

Hat dieses Problem schon zu Produktionsstillstand oder Ablehnung von Aufträgen geführt?

Nein. Toi Toi Toi. Wir kaufen natürlich, was passt und was wir bekommen können. Wir haben ein Lager in der Nachbarschaft angemietet und uns für viele wiederkehrende Jobs bevorratet. Denn einen Vorteil haben wir gegenüber vielen anderen Branchen, z.B. der Lebensmittelindustrie: Unser Material verdirbt nicht. Problematisch ist natürlich die augenblickliche Hochpreisphase. Ungestrichene Naturpapiere sind schon um über 60 % teurer geworden. Und wenn wir Papier nur im Lagerformat 70 x 100 cm bekommen, 63 x 88 cm aber ausreichen würde, haben wir viel Verschnitt. Gut für die Altpapierquote, schlecht auf der Kostenseite.

Ist ein Ende der Papierknappheit abzusehen?

Im Moment leider nein. Das liegt natürlich auch daran, dass in den letzten Jahren viele gute Hersteller aus dem Markt ausgeschieden sind. Zanders aus Bergisch-Gladbach oder Scheufelen aus Oberlenningen waren noch vor wenigen Jahren unsere Hauptlieferanten für glänzend und matt gestrichene Bilderdruckpapiere. Heute bestimmen praktisch zwei Weltkonzerne den Markt. Und das kann nie gut sein.