Erschienen am 01.07.2019 in unserem Kundenmagazin Passion #3
Marco Bode, die zurückliegende Bundesligasaison lässt Werder-Fans wieder von großen Zielen träumen. Mit welchen Vorstellungen geht Werder Bremen in die nächste Saison? Will man als Sportler nicht immer Erster sein?
Zu behaupten, wir wären am Ende der Saison Erster, wäre unrealistisch. Vielleicht hat jeder von uns, ohne dass er’s zugibt, eine versteckte Hoffnung, dass das trotzdem irgendwie doch passieren kann. Realistisch ist tatsächlich eher für uns ein Ziel, wie wir es auch in der vergangenen Saison schon formuliert haben: Zurück nach Europa – das würde bedeuten, unter den ersten sechs zu landen. Wenn du in die Champions League willst, musst du unter die ersten vier. Das wäre aktuell schon etwas sehr, sehr Außergewöhnliches für Werder, aber nicht unmöglich. Ich vermute, wir werden mit einem ähnlichen Ansatz auch wieder im kommenden Jahr Europa als Ziel formulieren. Dafür sind wir vor einem Jahr einerseits gelobt worden, weil es sehr ambitioniert war. Andererseits haben manche gesagt, dass dies eigentlich schon zu hoch gegriffen sei.
Ein Stück weit ist das das Ärgerliche in der Bundesliga, dass nur sehr wenige Mannschaften die Meisterschaft anstreben. Die Bayern natürlich, die es sich immer zum Ziel setzen, Erster zu sein – da ist es wahrscheinlich dann schon eine Belastung, dass sie diese Position immer verteidigen müssen. Teams wie Dortmund oder auch Leipzig sind die Herausforderer um den ersten Platz, das sind wir aktuell nicht. Am Ende der Saison 2019/2020 dann Sechster zu sein, würde sich für uns anfühlen, als wären wir Erster.
Aber wie ist das gerade bei den jungen Spielern? Geben die sich auch zufrieden mit Platz sechs?
Wir hatten ja noch schwierigere Zeiten in den letzten Jahren, da gab es schon hier und da das Gefühl, wenn wir nicht absteigen, ist das schon ein Erfolg. In der Zeit mit Florian Kohfeldt haben wir schon eine Entwicklung eingeleitet und hoffen natürlich, dass wir eben auch ambitioniertere Ziele wieder in den Blick nehmen können. Aber unsere Spieler, denke ich, wissen das sehr gut einzuschätzen, dass aktuell eine Deutsche Meisterschaft – Erster zu werden in der Bundesliga – unrealistisch ist. Man muss seine Position einschätzen können: Wenn man sich Ziele formuliert, sollten sie SMART sein – spezifisch, messbar, aktiv beeinflussbar, realistisch und terminiert sein – das kennen wir doch aus dem Marketing. Im Finanzranking der Bundesliga ist Werder nur im Mittelfeld, da ist schon der achte Platz, den wir erreicht haben, leicht überperformed. Aber trotzdem will man im Sport natürlich immer weiterkommen.Frank Baumann hat’s erlebt, ich hab’s auch erlebt, dass Werder eben auch ein Spitzenclub war. Wir sind in der Ewigen Tabelle auf Platz zwei, aber die erfolgreichen Zeiten um Meisterschaften liegen schon eine Weile zurück.
Der ewige Rivale HSV hat seinen „Dino-Status“ nun an Werder weitergereicht. Ist das etwas Besonderes?
Der HSV war halt immer Dino. Mit der neuen Saison werden wir die meisten Spiele haben, weil wir nur eine Spielzeit nicht in der Bundesliga dabei waren. Aber diesen Dino-Titel wollen wir eigentlich nicht. Vielleicht auch, weil es dem HSV kein Glück gebracht hat.
Hat man als Spieler einen anderen Fokus auf Gewinnen denn als Mitglied des Aufsichtsrates?
Ja, schon. Als Aufsichtsrat oder auch als Manager oder Geschäftsführer macht man sich einfach schon viel mehr Gedanken über Ziele, über Strategien oder mittelfristige Pläne als als Spieler. Damals beherrschte uns Spieler der Gedanke, jeden schlagen zu können. So bist du eigentlich auch mit der grundsätzlichen Idee in die Saison gegangen: Wir können jedes Spiel gewinnen, wir können auch die Bayern schlagen. Wobei wir damals in der „Geld-Tabelle“ – wenn wir das mal so nennen wollen – auch nur Platz sieben oder acht belegt haben. Nur waren damals die Unterschiede nicht so groß. Da war der Faktor nicht sechs, sondern vielleicht zwei. Im Aufsichtsrat spricht man natürlich über Geld. Fußballclubs denken inzwischen sehr unternehmerisch, aber sie unterscheiden sich schon in einer Sache von normalen Unternehmen: Das primäre Ziel ist sportlicher Erfolg. Und wirtschaftliche finanzielle Ziele sind im Grunde nur Zwischenziele, um die Möglichkeit zu haben, wiederum noch stärker in den sportlichen Erfolg zu investieren. Es geht nicht primär darum, möglichst viel Gewinn zu machen. Wenn wir Gewinn machen, geben wir das – übertrieben gesagt – sofort wieder aus und investieren in gute Spieler. Die Bestimmung unseres Clubs – im Marketingdeutsch der Purpose – liegt darin, sportlichen Erfolg zu haben, Menschen zu begeistern und Identifikation für die Region zu stiften. Das sind unsere Ziele. Die Werte, die du als Spieler hast, die mich ehrlich gesagt auch heute noch als Aufsichtsrat sehr antreiben oder bewegen, sind weniger finanzieller Art, sondern es ist eher die Haltung, immer gewinnen zu wollen. Und ich glaube, das muss man sich auch erhalten – als Spieler sowieso, aber auch als Verantwortlicher im Club. Als Spieler lernst du das schon im Kindesalter. Du spielst Fußball, um zu gewinnen. – Bis heute suche ich in allem, was ich tue, ein bisschen das Spiel oder den Wettbewerb.
Ist Erfolg über Jahre planbar?
So ein Club wie RB Leipzig kann seinen Erfolg über Jahre planen, weil ein Konzern mit entsprechend ausreichenden finanziellen Möglichkeiten hinter ihm steht. So kann die Entwicklung ein Stück weit längerfristiger geplant werden. Clubs wie Werder – und davon gibt es in der Bundesliga etwa zwölf – können nur kurzfristiger planen. Der Umsatz von Bayern ist etwa sechsmal so hoch wie unserer. Dazu kommt, dass wir nicht so viele Möglichkeiten haben, den Umsatz dramatisch zu steigern, ohne dass wir uns komplett verändern. Wir haben in der Bundesliga die 50+1-Regel, die vorsieht, dass der klassische Verein – bei Werder auch noch der einzige Gesellschafter – die Entscheidungshoheit behält und mehrheitlich über die Geschicke des Clubs entscheidet. Solange diese Regel erhalten bleibt, wird es für Werder grundsätzlich schwierig sein, sehr stark zu wachsen. Auch an dem Standort Bremen mit dem eher kleinen Stadion gibt es eben nur begrenzte Möglichkeiten. In England beispielsweise hat man eine völlig andere Situation. Da gehört zu jedem Club ein Unternehmen oder eine Privatperson, die als Hauptgesellschafter andere Möglichkeiten haben. Da kommt es sicherlich häufiger vor, dass man in mittelfristigen Zeiträumen plant. Ich will damit nicht sagen, dass wir immer nur ganz kurzfristig auf das nächste Jahr schauen. Planbarkeit im Fußball ist generell sehr schwierig. Ich drücke es gern so aus: Mit guten Entscheidungen, mit guten Konzepten, mit guten Ideen erhöhst du die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg, aber der Planungshorizont ist eher kurzfristig.
Du warst bis 2016 mit 101 Treffern Rekordtorschütze von Werder, in dieser „Disziplin“ also Erster. Bist du sauer auf Claudio Pizarro?
Auf jeden Fall! (lacht) Ich war von Anfang an gegen seine nochmalige Verpflichtung, weil ich natürlich wusste, wenn er da mit 90 Treffern kommt, wird er gefährlich. Dass er jetzt bis zu seinem 50. Lebensjahr spielt, um mir meinen Erfolg zu klauen, damit konnte ich natürlich auch nicht rechnen. – Nein, ich bin nicht sauer auf ihn. Ich hab erstens zu früh aufgehört, zweitens zu viele Chancen vergeben und drittens den Rekord tatsächlich sowieso nur halten können, weil ich so werdertreu war. Claudio hat in seiner Karriere um die 200 Tore geschossen – als astreiner Mittelstürmer. Also, alles gut!
Du hast von 1989 bis 2002 bei Werder gespielt. Hattest du keine Angebote von anderen Clubs?
Doch, ich hatte Angebote. Auch sehr gute von den Bayern, von Dortmund und von Schalke. Zunächst einmal haben wir mit Werder seinerzeit fast in jedem Jahr einen Titel gewonnen – da hast du wenig Grund, über einen Vereinswechsel nachzudenken. Ich hab mich in Bremen immer superwohl gefühlt. Später war die Identifikation mit Werder so groß, dass ein Wechsel innerhalb der Bundesliga nicht infrage kam. Vielleicht fehlte mir auch ein wenig der Mut für einen Wechsel, zum Beispiel zu den Bayern. Irgendwann kam auch der Gedanke: Es ist auch etwas Besonderes, nur für einen Club gespielt zu haben.
Warum hast du mit 32 aufgehört?
Ich hatte damals das Bauchgefühl, jetzt ist es gut. Mit dem WM-Finale aufzuhören, war irgendwie auch was Besonderes. Wenn man einmal im Leben im WM-Finale steht, will man das natürlich auch gewinnen. Das war mir nicht vergönnt. In der ersten Halbzeit hätten wir in Führung gehen können. Dann kam der Patzer von Kahn. Das war die entscheidende Szene des Spiels. Aber ehrlich gesagt, waren wir damals auch nicht der Favorit auf den Titel.
Fußball ist eine Parallelwelt, in der man sich als Spieler sehr schnell verlieren kann. Bei dir hat man nicht das Gefühl. Du hast vorher Mathematik und Philosophie studiert und dich immer schon sozial engagiert. Bist du der etwas andere Typ Fußballer?
Ich bin einfach – und das ist vielleicht auch ein Nachteil in meine Karriere gewesen – sehr neugierig auf andere Dinge und habe zu viele Interessen. Ich hab nicht den totalen Fokus auf den Fußball gelegt. Ich bin nicht fußballverrückt genug und könnte aus diesem Grund auch kein Trainer sein. Diese Lockerheit hat mir als Spieler geholfen, meine Leistung zu bringen, wo andere sich voll fokussieren müssen, um abzuliefern. Ich hab mich das öfter gefragt, ob mehr Verbissenheit mir mehr geholfen oder mehr geschadet hätte. – Diese hypothetischen Fragen sind die besten. (lacht)
Dann haben wir eine weitere hypothetische Frage. Was wäre aus dir geworden, wenn das mit dem Fußball nicht geklappt hätte?
Als Abiturient hatte ich noch nicht so den richtigen Plan und wollte das mit dem Fußball probieren. Ins Sportmarketing oder in die Kommunikationsbranche zu gehen, ist die logische Konsequenz meiner Fußballerkarriere. Ich glaube ohne Fußball wäre ich heute Mathematiker –vielleicht Lehrer. Oder ich würde bei der OHB die Satellitenbahnen berechnen. (lacht)
Wir sitzen hier in der Filmproduktionsfirma Nordisch – ein Spielfeld, auf dem du nun aktiv bist. Welche Position hast du im Unternehmen?
Alles hat angefangen mit der ersten und bis heute einzigen Fußballshow für Kinder. Fußball war damals natürlich meine Kernkompetenz. Wir haben vier Staffeln von Toggo United gemacht – eine der größten Erfolgsgeschichten im Kinderfernsehen. Dafür gab’s dann auch gleich einen Preis. Und seitdem entwickeln wir zusammen Fernsehformate. Ich habe in den letzten 15 Jahren einige Erfahrungen sammeln können, denn das Handwerk Filmemachen habe ich nie so richtig gelernt. Also bin ich irgendwas zwischen einem Kreativen, der über Formate nachdenkt, teilweise Spiele entwickelt, und einem Akquisiteur für Auftragsproduktionen. Nordisch gliedert sich grundsätzlich in drei Bereiche: Der erste Bereich umfasst die Entwicklung und Umsetzung von Fernsehformaten bis zur fertigen Sendung. Wir entwickeln Ideen, versuchen dann, einen Sender davon zu überzeugen, und produzieren, wenn wir handelseinig geworden sind. Da haben wir schon so einiges für unterschiedlichste Themen auf die Beine gestellt, angefangen beim Sport, aber auch Klimaschutz und viele andere Doku-Geschichten. Der zweite Bereich beschäftigt sich mit Business-Bewegtbild – das kann ein Imagefilm für ein mittelständisches Unternehmen sein, das kann aber auch mal ein Werbespot oder eine längere Doku über Nordstream oder Windkraft sein. Große Kunden im Business-Bereich sind zum Beispiel die Telekom oder EnBW. Und der dritte Bereich ist Voiceover oder Sprachadaptionen für fremdsprachige Formate, die beispielsweise für Pro7/Sat1 ins Deutsche übertragen werden. Das Nordisch-Team besteht aus knapp 20 Leuten, die fest angestellt sind. Dazu kommt natürlich noch ein Pool an Freien, an Sprechern und Redakteuren.
Gibt es bei Nordisch einen roten Faden?
Unser heimlicher Claim bei Nordisch ist „Ehrliches Fernsehen“. Unsere große Stärke liegt darin, gute Protagonisten zu finden – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Und wir inszenieren so wenig wie möglich. Es gibt ja Formatideen, die sehr gescriptet sind. So etwas tun wir nicht. Wir versuchen, so authentisch oder so ehrlich wie möglich zu produzieren. Ein Beispiel: Wir haben bereits vor fünf oder sechs Jahren eine Doku-Serie über Klimaschutz gemacht. Wir haben überlegt, wie wir das aus der Ecke „erhobener Zeigefinger“ rausholen – du darfst dies nicht, das nicht … mach das Licht aus, wenn du den Raum verlässt usw. Unsere Idee war, das Thema mit etwas zu verbinden, das Spaß macht: Reisen. Das ist nicht klimaverträglich, wenn man pauschal in den Flieger steigt und sich irgendwo an den Pool legt. Wir haben einen Wettlauf quer durch Europa organisiert – beginnend im Klimahaus in Bremerhaven. Zwei Teams – Männer gegen Frauen – sollten so schnell wie möglich „klimaverträglich“ nach Gibraltar. Es gab ein CO2-orientiertes Punktesystem dahinter, das wir gemeinsam mit dem Klimahaus entwickelt hatten. Fliegen ging natürlich gar nicht. Mietwagen, Bahn- oder Fahrradfahren kosteten unterschiedlich viele Punkte. Wenn das Punktekonto leer war, konnte man es durch Arbeit in Umweltprojekten – in den Alpen Gletscher abdecken oder Wälder aufforsten – wieder aufladen. Die Teams waren in ihren Entscheidungen frei, das heißt wir mussten von einer Stunde auf die andere mit diesen Entscheidungen leben und mit unseren Kamerateams immer dranbleiben. Ehrliches Fernsehen passt auch sehr gut zu unserer Entwicklung aus dem Kinderfernsehen. Mit Kindern musst du offen, du musst gerecht und ehrlich sein, sonst funktioniert’s nicht! Kinder sind Gerechtigkeitsfanatiker. Wenn du denen was vorgaukelst, verlieren sie die Lust und du verlierst sie.
Aufsichtsratsvorsitzender bei Werder, Kreativer bei Nordisch. Was beschäftigt Sie noch?
Soziales Engagement war mir immer sehr wichtig. Ich hab als Spieler schon angefangen, mich für bestimmte Dinge einzusetzen, weil ich gemerkt habe, dass ich meine Popularität auch einsetzen und nutzen kann. Das hat nach dem Fußball natürlich nicht aufgehört – ist sogar noch mehr geworden, weil ich dann auch mehr Zeit dafür hatte, die Dinge zu verfolgen. So hab ich zum Beispiel damals gleich nach dem Ende meiner Karriere ein Projekt angefangen, das heißt: „Das erste Buch“. Drittklässler schreiben Geschichten und malen Bilder dazu. Wir machen ein Buch daraus und schenken es den Erstklässlern. Inzwischen haben wir schon eine halbe Million Bücher verschenkt. Das machen wir aktuell an acht Standorten. – Ein weiteres Projekt heißt „Schach macht schlau!“. Seit einem Jahr haben wir im Land Bremen damit begonnen, in der Grundschule Schach in den Unterricht zu bringen. Wir bilden die Lehrer aus – nicht jeder kann Schach spielen. Dann bekommen die Klassen von uns Schachbretter und Arbeitshefte und lernen dann Schach. Wir wollen Schach als Tool nutzen, um Bildung zu verbessern. Da gibt es viele Studien, die besagen, dass Schach beispielsweise die Lesekompetenz stärkt und damit die schulischen Leistungen verbessert. Man muss lernen, sich zu konzentrieren. Man muss Regeln einhalten und strategisch denken. Wir sind damit der größte Pilotversuch in Deutschland. Wer mehr darüber erfahren will, kann am 20. Juni auf den Bremer Marktplatz kommen. Da stellen wir die Aktion auf einer Open-Air-Veranstaltung vor und werben für das Schulfach Schach – mit dabei um die 1.000 Kinder, die Schach spielen. Darauf freue ich mich!
Marco Bode, vielen Dank für dieses Gespräch!