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Und dann kam einer, der hat’s einfach gemacht!

Dieser Artikel ist in unserem Kundenmagazin 28832BERLIN #55 erschienen.

 

200 Tage im Fahrradsattel und rudernd über den Ozean – 22.000 Kilometer, ohne fossilen Brennstoff. Julen Sánchez hat das Unmögliche möglich gemacht. Seine Reise führte ihn von Paris’ Straßen nach Portugal über den Atlantik bis an die Küsten Floridas und schließlich nach Pennsylvania. Unterwegs begegnete er Walen, kämpfte gegen Stürme und erlebte die Stille des Ozeans. Was trieb ihn an? Wir sprachen mit Julen Sánchez.

 

Julen, du hast diese weite Strecke nur mit Muskelkraft zurückgelegt – klimaneutral quasi. War dein Abenteuer ein Impact, um Aufmerksamkeit zu erregen, oder ging es dir darum, zu zeigen, was mit Ausdauer und Entschlossenheit möglich ist?

Du sprichst einen wichtigen Punkt an. Natürlich ist das Thema CO2-Einsparung in der Reisebranche in letzter Zeit sehr aktuell, aber bei mir lag der Antrieb tiefer. Die Reise war nicht nur ein Abenteuer, sondern auch eine persönliche Herausforderung. Ich wollte zeigen, dass man auch nach schwierigen Erfahrungen wie einer Krankheit – ich hatte einen Tumor von der Größe eines Golfballes in meiner Blase, der sich dann gottseidank komplett entfernen ließ – Großes erreichen kann. Es ging darum, nachhaltiges Reisen zu beweisen und zu zeigen, dass wir, wenn wir den Mut und den Willen haben, durchaus auch klimafreundlich Ziele erreichen können – auch wenn viele das für unmöglich halten.

Du hast eine beeindruckende Reise hinter dir, Julen. Bei solchen Abenteuern stellt sich die Frage nach der Motivation. Viele hielten dich für verrückt, dich solchen Gefahren auszusetzen. Wie hältst du in extremen Situationen – etwa als du beinahe von einem Containerschiff überfahren wurdest – den Mut und die Motivation aufrecht?

Schon die Vorbereitung war entscheidend. Die Idee trug ich fast vier Jahre mit mir herum. Anfangs erschien es verrückt zu sein, aber je mehr ich mich mit den Details beschäftigte, desto entschlossener wurde ich. Es gab viele kritische Momente, etwa als während der Corona-Pandemie meine Sponsoren absprangen. Ich stand plötzlich alleine da und musste entscheiden, ob ich weitermache. Ich entschied mich, selbstständig zu arbeiten und das nötige Geld zu verdienen. Trotz vieler Zweifel fand ich in meiner Überzeugung, dass Klimaschutz und das Erreichen scheinbar unmöglicher Ziele wichtig sind, immer wieder die Kraft, weiterzumachen.

Vor 50 Jahren fuhr ein Arzt aus Bremen mit einem Faltboot über den Atlantik – ohne die heutigen technischen Möglichkeiten. Du hattest eine Art „Hängematte“ und warst nicht vollständig abgekoppelt. War es also einfacher für dich, weil du jederzeit abbrechen konntest?

Abbrechen auf dem Ozean ist eine größere Hürde als an Land. Beim Radfahren kann man sich einfach ausruhen oder abholen lassen. Auf dem Ozean jedoch bedeutet Rettung das Ende der Expedition und darüber hinaus den Verlust sämtlicher finanzieller Mittel. Das war für mich ein 0,1-Prozent-Szenario, das ich nur in einem Notfall in Betracht zog. Du hast recht, im Vergleich zu den Pionierreisen vor vielen Jahrzehnten, als keine Kommunikation möglich war, ist es heute ein Abenteuer auf einem anderen Level – dank moderner Technik wie IT, Solar-Panels und Wasserversorgung. Aber es bleibt eine gewagte Unternehmung.

Wer hat dich gesponsert? Wie finanzierst du so eine Expedition?

Am Ende waren es vor allem persönliche Kontakte. Ein Auftraggeber, einige Leute aus meiner Heimatstadt und Crowdfunding haben mir geholfen. Doch etwa 85 Prozent habe ich selbst finanziert. Das war eine schwierige, aber wertvolle Vorbereitung, die mir half, an mich zu glauben und Menschen zu überzeugen, mein Projekt zu unterstützen. 

Welche Tipps hast du für Menschen, die eine CO₂-neutrale Reise mit dem Rad unternehmen wollen – sagen wir 1.000 oder 2.000 Kilometer?

Das Schwierigste ist, loszufahren. Den ersten Schritt zu machen. Die Vielzahl an Equipment, Routen und Apps kann einen lähmen. Bei meiner Fahrradtour nach Portugal habe ich bis kurz vorher nicht viel geplant. Es war nicht das beste Fahrrad oder Equipment, aber genau darum geht es: Du musst nicht perfekt vorbereitet sein. Wichtig ist, überhaupt erst loszukommen. Sobald du in Bewegung bist, merkst du schnell, was du hättest besser machen können. Aber das spielt dann keine große Rolle mehr. Jeder kann eine Fahrradtour auf seine eigene Weise erleben – es kommt auf den Enthusiasmus und die Bereitschaft an, loszulegen.

Es gibt zahlreiche Blogs mit interessanten Tipps und Orientierungsmöglichkeiten.

Natürlich ist es hilfreich, unterwegs in Blogs nach den besten Tipps zu schauen. Aber oft ist es auch der Austausch mit Menschen vor Ort, die dir helfen, wenn du etwas nicht dabei oder vergessen hast. Diese Begegnungen machen diese Art zu Reisen besonders – es geht um langsames Reisen und die Erlebnisse abseits der Straße.

Wie plane ich, wenn ich aufs Wasser will? Muss es unbedingt der Ozean sein? Zum Beispiel eine Reise von Portugal auf die Kanaren?

Ich würde eine Reise von Portugal auf die Kanaren nicht unbedingt empfehlen – die Strecke ist navigationsmäßig sehr anspruchsvoll. Eine solche Expedition mit dem Ruderboot auf dem Atlantik erfordert umfassende Vorbereitung. In einem Podcast hörte ich von Leuten, die sich einfach ein Boot bei Globetrotter kauften und losfuhren. Es gibt interessante Routen, wie durch Frankreichs Flüsse bis ans Mittelmeer. Man muss kein Hochleistungssportler sein, um solche Abenteuer zu wagen. Oft ist die Expedition selbst das Training, das dich stärker und fitter macht. 

Die gewählte Route Paris–Pittsburgh hatte sicher einen Hintergrund. Kannst du das näher erläutern?

Donald Trump war der Auslöser, als er sich seinerzeit vom Pariser Klimaabkommen distanzierte und Pittsburgh als Beispiel wählte, eine Stadt, die historisch nicht für Umweltschutz bekannt war. Doch Pittsburgh hat sich stark verändert und plant bis 2035, komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Bürgermeister von Paris und Pittsburgh unterzeichneten einen öffentlichen Brief, in dem sie betonten, dass beide Städte trotz der Entscheidung der US-Regierung weiter für den Klimaschutz kämpfen. Diese Botschaft sprach mich besonders an. Deshalb wählte ich Paris als Start- und Pittsburgh als Endpunkt meiner Reise.

Welche Herausforderungen gibt es, wenn man übers Meer rudert? Wie ist es, wenn man vom Land nichts mehr sieht – nicht mal einen Leuchtturm – und es dunkel wird. Wie gehst du mit Ängsten um?

Die mentale Vorbereitung ist die größte Herausforderung. Sobald du die Küste aus dem Blick verlierst, spürst du erst wirklich, wie du dich fühlst. Im Training hast du das nie, da du die Kontrolle behältst. Ich hatte schon Erfahrung mit Segeln im Mittelmeer, aber auf dem Ozean ist alles anders. Ein großes Risiko ist der Schiffsverkehr – dabei ist es in Küstennähe gefährlicher als auf dem offenen Meer. Auch Tierbegegnungen können beängstigend sein, wie etwa mit einem Wal. Aber die größten Herausforderungen sind psychisch: Die Isolation und die beängstigende Frage, ob man je wieder Land sieht. Du bist so langsam unterwegs, dass du viele Wochen ohne Land in Sicht verbringst. Doch trotz der körperlichen Anstrengung war ich erstaunlicherweise mental stark, genoss die Ruhe und die Schönheit der Natur.

Welche waren deine schönsten Begegnungen im Wasser und an Land während deiner Expedition?

Die beeindruckendste Begegnung war mit einem Marlin, einem riesigen Schwertfisch, der mein Boot umkreiste. Das war gefährlich! Als der Marlin aus dem Wasser sprang, war das ein atemberaubender Moment. Eine weitere außergewöhnliche Erfahrung war das Schwimmen mit einem Buckelwal, der mit meinem Ruderboot spielte. Es war eine Mischung aus Ehrfurcht und Faszination – eine der gefährlichsten, aber auch schönsten Begegnungen meines Lebens.

Hast du eine Art Freundschaft mit dem Buckelwal geschlossen?

Ja! Als er verschwand, war ich fast ein wenig traurig. Es war schade, dass der Abschied mitten in der Nacht stattfand – ich hätte ihn gern im Tageslicht losgelassen. Aber es war ein Privileg, so etwas auf dem offenen Meer zu erleben.

Wie lange warst du auf dem Wasser unterwegs? Vom letzten Blick auf Land bis zum ersten Blick auf eine Insel?

Insgesamt war ich 131 Tage auf dem Wasser. Abzüglich 17 Tagen auf dem Weg zu den Kanaren und einem Tag auf einer Privatinsel blieben 113 Tage allein auf dem Ozean – fast vier Monate. Es war surreal, 24 Tage lang kein anderes Schiff zu sehen. Ich lebte in meiner eigenen kleinen Welt, beschäftigt mit Rudern, Musik und Hörbüchern. Der Versuch, nicht auf den Kartenplotter zu schauen, um die riesige Distanz nicht als entmutigend zu empfinden, war eine mentale Herausforderung.

Musik und Hörbücher? Gab es auch Motivations-CDs?

Das zeigt gut den Unterschied zwischen dem, was an Land und auf dem Ozean funktioniert. Ich dachte tatsächlich, Motivations-CDs würden mir helfen. Aber zwei Minuten reichten, dann musste ich sie ausschalten. Ähnlich war es mit der Expeditionsnahrung, die mir an Land gut schmeckte, aber auf dem Meer ungenießbar war. Oft ist es das, was du nicht geplant hast, das dich weiterbringt.

Welche Musik hat dich beim Rudern begleitet?

Ich bevorzugte melodische Musik ohne viele Texte, besonders elektronische Klänge, wie Trance. Diese Musik harmoniert perfekt mit den rhythmischen Bewegungen des Ruderns und der Wellen. Beim Sonnenuntergang wirkt die Natur besonders intensiv, und Musik verstärkt dieses Gefühl.

Gibt es auf dem Ozean Strömungen, die man spüren kann?

Strömungen merkt man selten direkt. Oft zieht man hart an den Rudern und kommt trotzdem nicht voran, was frustrierend ist. Es sind die unsichtbaren Strömungen unter der Wasseroberfläche, die den Unterschied machen.

Das muss beängstigend sein, oder?

Ja, es zeigt die Macht des Ozeans. Einmal sprang ich ins Wasser und das Boot trieb plötzlich weit weg – ein Schockmoment. Zum Glück war ich festgemacht. Das Schlimmste wäre, das Boot zu verlieren.

Das klingt fast wie im All, so isoliert und allein.

Es ist tatsächlich ähnlich. Du fühlst dich auf dem Ozean den Menschen im Weltall näher als denen auf der Erde. Die ISS zieht regelmäßig über dich hinweg. Anfangs hast du Angst vor der Dunkelheit, aber später genießt du sie, da es tagsüber unerträglich heiß sein kann. Nachts ist es kühler, und der Sternenhimmel ist beeindruckend.

Als du endlich Land erreicht hast, war es dann etwas anderes, wieder auf einem Fahrrad zu sitzen?

Ja, es war eine andere Erfahrung. Da ich allein unterwegs war – anders als von Paris nach Portugal –, hatte ich die Möglichkeit, die Landschaft und die Reise intensiver zu erleben. Ich hatte allerdings kein Bedürfnis, an schönen Orten zu übernachten – ich schlief einfach am Straßenrand und fuhr am nächsten Morgen weiter.

Das klingt ziemlich pragmatisch.

Manchmal war es mir zu mühsam, das Zelt aufzubauen, also schlief ich einfach unter freiem Himmel. Die Sonne weckt dich, und du folgst dem natürlichen Rhythmus – müde bei Sonnenuntergang, wach bei Sonnenaufgang.

Was sind deine nächsten Pläne?

Für den Sommer dieses Jahres habe ich eine neue Expedition geplant – darüber können wir danach noch einmal sprechen. Es geht mir allerdings nicht darum, dass Menschen meine Reisen nachahmen, sondern dass sie erkennen, dass sich etwas verändern muss, man nachhaltig reisen kann und es oft nicht nötig ist, zu fliegen.

 

Alle Inhalte der neuen Ausgabe unseres Magazins gibt es hier: 28832BERLIN #55. Ein gedrucktes Exemplar schicken wir Ihnen gerne zu – treten Sie mit uns in Kontakt.