26 Aug Sag die Wahrheit
Das ist mehr als das altbekannte Ratespiel, das 1959 erstmals im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde und heute in einigen Regionalprogrammen immer noch zu finden ist. Und was ist eigentlich „Die Wahrheit“? Es ist – ganz simpel – die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird.
Aber, ganz so einfach ist es wohl doch nicht. Denn mit der Frage danach beschäftigen sich seit Jahrhunderten die Philosophen. Wie könnte ich da mithalten?
Eine Schwarz-Weiß-Betrachtung hilft hier auch nicht. Es ist zwar dreist gelogen, wenn in der Fernsehwerbung von Lindt einzelne Chocolatiers mit weißen Barett-Kochmützen Lindor-Kugeln einzeln rollen. Aber wer will schon die maschinelle Massenproduktion in geschlossenen High-Tech-Maschinen sehen?
Wenn allerdings eine vollkommen unnötige, umweltschädliche Produktionsweise in unserer Branche permanent als Fortschritt verkauft wird, muss man hellhörig werden. Es geht um den LE-UV-Druck auf Papier. Man bewirbt eine (gegenüber dem „normalen Offsetdruck) nicht vorhandene Energieeinsparung, unterschlägt aber dreist, dass die ausgehärteten Druckfarben Mikroplastik sind. Und dass Plastik eines der größten Probleme in der Umwelt darstellt, wissen wir nicht erst seit auch die Politik auf das Thema aufmerksam geworden ist und Strohhalme verbietet. Nachhaltigkeit kann man damit nicht erzielen. Und die mit den meisten Druckfarben nicht mögliche Deinkbarkeit des Papiers bei der Altpapieraufbereitung setzt dem Verschweigen die Krone auf.
Und wie rücksichtslos ist es eigentlich, wenn ein Druckmaschinenhersteller erklärt, dass seine Kunden, „der Markt“, derartige Technik aus „Zeitgründen“ verlangt. Gemeint ist die schnellere Trocknungszeit der Farbe. Das Thema Ökologie sei nachrangiger? Im Ernst? Ich kann die Umwelt ungestraft verschmutzen, damit meine Farbe schneller trocknet? Welche Scham muss man verdrängen, wenn man liest, dass genau diese Farben, bzw. einige der darin enthaltenen Photoinitiatoren* gesundheitsgefährdend sind und sogar das ungeborene Leben bedrohen können.
Und damit wären wir bei der schwierigen Frage: „Kann man alles tun was möglich und (noch) erlaubt ist“? Nun ja, man kann. Es ist ja nicht verboten. Die Wahrheit bleibt hier aber auf der Strecke, wenn man so etwas auch noch als umweltschonend anpreist. Und solange man über Strohhalme diskutiert, fällt vielleicht gar nicht auf, dass sich Teile der Druckindustrie hier auf einen Holzweg begeben haben, der die Umweltbemühungen der vergangenen Jahrzehnte total konterkariert. Da hilft es auch nicht, wenn man LE-UV jetzt schamhaft verschweigt und diesen Prozess „Naturpapier-Offset“ nennt.
Beruhigend kann hier auch nicht wirken, dass bei den Anwendern ein Umdenken begonnen hat. Der Hype um LE-UV-Offset ist in der traurigen Wirklichkeit gelandet. Die nächsten Maschinen werden sicher eine umweltverträglichere Technik beinhalten. Aber noch sind die Maschinen in der Produktion und um uns herum hat in anderen europäischen Ländern die Diskussion darum gerade erst begonnen.
Als ein großer Maschinenhersteller vor einigen Jahren zur Einführung zu einem zweitätigen Seminar mit Praxisvorführung nach Darmstadt eingeladen hatte, war ich der einzige Vertreter einer norddeutschen Druckerei. Es hat sich gelohnt. Als wir gewarnt wurden, nicht mit der Farbe in Berührung zu kommen, war klar: Hände weg! Der Kelch ging an uns vorbei. Kann man den Herstellern einen Vorwurf daraus machen, dass sie Maschinen und nicht die Wahrheit verkaufen wollten? Kaum. Aber einige Kollegen hätten vielleicht einmal genauer hinschauen sollen.
Das jedenfalls meint
Ihr Reinhard Berlin
*Der PhotoinitiatorOMNIRAD-369 ist inzwischen verboten. Es handelt sich bei OMNIRAD-369 um einen weit verbreiteten Photoinitiator, der verwendet wird, um die Photopolymerisation von Polymeren in UV-Farben zu initiieren. Da neue Forschungen ergeben haben, dass die Substanz gesundheitsgefährdend sein kann, ist sie nun gemäß EuPIA-Ausschlussrichtlinie in der Druckfarbenindustrie untersagt worden. Die meisten Photoinitiatoren und ihre Ausgangsstoffe werden in China hergestellt. Dort habe staatliche Initiativen und Regelungen im Umweltschutz dazu geführt, dass viele Lieferanten ihre Produktion entweder zeitweise oder vollständig eingestellt haben.