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Was geht…?

Kurz nach dem Mauerfall saß ich mit einem Einkäufer der DDR Fluggesellschaft Interflug im Restaurant des Flughafens Berlin-Schönefeld mit Blick auf das Rollfeld. Wir waren Spezialisten für das Gestalten und Drucken von Sicherheitsanweisungen für Flugzeuge und wollten natürlich auch für Interflug drucken. Am Rande des Rollfelds ein riesengroßes Zelt, das sofort meine Neugier weckte. Der Einkäufer klärte mich auf: „Da sitzt unsere Mängelwirtschaft“. Ein merkwürdiger Begriff, den er erläutern musste. „Also, wenn ein Flugzeug aus Moskau zurückkommt, gehen z.B. die Bord-Rückläufe wie Becher, Kaffee, Zucker und Milch dorthin und werden gesammelt. Dann sitzen da Kollegen, die machen jeden Tag neue Berechnungen, wieviel Kaffee, Zucker und Milch auf den nächsten Flug nach Moskau mitgegeben werden muss.“

An diese, damals noch computerlosen Berechnungen, muss ich denken, wenn wir jetzt um jeden Bogen Papier, jede Aluminium-Druckplatte und jedes Kilo Farbe kämpfen. Mängelwirtschaft. Ein für uns neuer Begriff, der im Moment durch fast alle Branchen geistert.

Interessant allerdings, dass die fehlenden Chips für die Automobilindustrie nicht auf fehlende Produktionen zurückzuführen sind. Da haben die Einkäufer schlicht gepennt. Zu Beginn der Pandemie haben sie ihre Abnahmeverträge nicht erfüllt und knallhart reduziert. Alles in der Hoffnung, dass die Lieferanten schnell wieder kuschen, wenn sie rufen. Denkste! Die haben Chips für Laptops und 1000 andere Dinge produziert. Und jetzt darf die Automobilindustrie sich wieder hinten anstellen.

Damit wir uns bei Papier, Druckplatten und Farbe nicht hinten anstellen müssen, haben wir uns bei den ersten Anzeichen für erwartete Mängel mit unseren Lieferanten an einen Tisch gesetzt und zu erwartende Bedarfsfälle gelistet. Es war ja schließlich anzunehmen, dass man die Kalenderaufträge, die man seit zum Teil Jahrzehnten fertigt, auch in 2021 fertigen wird. Und genau diese Planung hat dazu geführt, dass wir bis heute – toi toi toi – jeden Auftrag fristgerecht erfüllen können. Ein Kalender für 2022 mit Papierliefertermin Februar 22 wäre schließlich nicht ganz so witzig.

Den Nebeneffekt der Mängelwirtschaft, irre Preissteigerungen, haben wir leider (noch) nicht im Griff. Da machen uns die Weltkonzerne der Papierindustrie einen Strich durch die Rechnung. Sogar bestätigte und mit festem Preis vereinbarte Lieferungen werden nur geliefert, wenn wir „freiwillig (!!!)“ einen Energiekostenzuschlag von bis zu 25 Prozent drauflegen.

Es bleibt spannend und es könnte sein, dass nicht nur in unserer Branche demnächst viele große Zelte gebraucht werden. Und endlich mal wieder ein neuer Managementtitel: Chief Deficiency Operator.