15 Dez Instagrammatik
Dieser Artikel ist in unserem Kundenmagazin Passion #13 erschienen.
Ein Gespräch über Faust und Gretchen, Instagram und TikTok sowie Schule von morgen mit Herrn Schröder.
Johannes Schröder (* 1974 in Berlin-Charlottenburg) ist ein deutscher Comedian, Kabarettist und ehemaliger Gymnasiallehrer, der unter dem Künstlernamen Herr Schröder auftritt. Schröder studierte in Freiburg auf Lehramt für Deutsch und Englisch. Bevor er 2004 seinen Dienst als Lehrer am Oken-Gymnasium in Offenburg antrat, verbrachte er ein Jahr mit Work & Travel in Spanien. 2014 zog es ihn nach Toronto in Kanada, wo er ein Sabbatical anfing. Dort schaute er sich viel in Comedy-Clubs ab und entdeckte seine Leidenschaft als Comedian.
Johannes – oder soll ich Schrödi sagen? –, wie wird ein Lehrer Comedian?
Scherzhaft sage ich immer, dass die Schüler mich irgendwann aufgefordert haben: „Herr Schröder, erzählen Sie diese schlechten Witze bitte nicht uns! Wir sind hier in der Schule. Gehen Sie bitte dorthin, wo Sie ihresgleichen treffen.“ Nein, so war es nicht. Ich leitete in der Schule eine Theater-AG und entwickelte so eine Leidenschaft für die Bühne. Es war wichtig zu verstehen, was auf der Bühne funktioniert, und das war etwas, was ich den Schülern vermitteln konnte. Authentisch auf der Bühne zu sein war essenziell. Ich fand es furchtbar, wenn jemand einfach einen Text herunterratterte. „Halt, Moment, Stopp! Du musst das erst spüren, erst körperlich werden, und erst wenn du das richtig empfindest, dann kannst du sprechen.“ Hinzu kam ein Abenteuerwunsch, einmal etwas völlig Neues zu tun, einen kleinen Umweg zu gehen, die starre Karriere als Lehrer noch mal zu durchbrechen und von null anzufangen.
Als ich das Sabbatical begann, wusste ich noch nicht, dass es in Richtung Comedy gehen würde. Offiziell ging ich auf eine Improschule in Kanada. Heimlich – ohne es jemandem zu erzählen – besuchte ich dann Clubs in Toronto und dachte, vielleicht trete ich dort einfach mal auf und schaue, wie es läuft.
Und das hat funktioniert?
Ja, es hat in soweit funktioniert, dass ich spürte, ich kann auf der Bühne irgendwie überleben. Ich erinnere mich noch genau an meine Straßenbahnfahrt nach Hause nach meinem allerersten Auftritt. Ich war stolz und erleichtert, weil ich das tatsächlich gemacht hatte. Das Gefühl, es durchgezogen zu haben, war wichtig für mich.
Lass uns über Lampenfieber sprechen. Worin liegt der Unterschied vor Schülern oder vor einem Publikum aufzutreten?
Tatsächlich sagtest du mir neulich hinter der Bühne den entscheidenden Unterschied, nämlich dass man zu den Schülern eine langfristige Beziehung aufbaut. Vielleicht sollten wir jedoch nicht mit den Unterschieden beginnen, sondern mit den Gemeinsamkeiten. Meiner Ansicht nach liegt die Gemeinsamkeit in dieser Aufregung, in dieser Kommunikationssituation. Ich glaube, wir haben alle diese Urangst in uns, uns zu blamieren. Die Angst, Wert in den Augen anderer zu verlieren, wenn man dort steht und manchmal nicht weiter weiß. Das ist bei Schülern genauso wie vor einem Publikum. Der Unterschied besteht darin, dass bei einer Show alles sehr komprimiert ist und es auf Anhieb klappen muss. Mit den Schülern baut man tatsächlich eine langfristige Beziehung auf, was eine andere Herangehensweise erfordert. Man muss Vertrauen aufbauen. Die Frage ist, ob diese letztlich funktioniert.
Viele sind der deutschen Sprache nicht mehr oder noch nicht mächtig, weil sie einen Migrationshintergrund haben und / oder das Lesen von Büchern als gestrig empfunden wird. Wie erklärst du Deutsch?
Genau diese Frage habe ich mir vor jeder Deutschstunde gestellt. Wenn es um Literatur ging, habe ich überlegt, was der gemeinsame Nenner ist, was die Welt der Schüler ist. Ich mache die Schüler zu Mitgestaltern. Zum Beispiel, wenn es um Dramen geht, um Faust, habe ich sie auf die Bühne geschickt – bereits ab Tag eins. Sie sollten den Text spüren, wie zum Beispiel den traurigen Text von Gretchen, als sie ihre Jungfräulichkeit in der Nacht verloren und dann Sehnsucht hat, der Mann aber für sie nicht greifbar ist. Dann spüren die Schüler, wie der Text körperlich wird. Er ist für die Bühne geschrieben, nicht narrativ im herkömmlichen Sinne, sondern als gesprochener, darstellender Text.
Das ist eine interessante Methode. Und wie sieht es denn mit digitalen Medien aus?
Bei Instagram habe ich einen langen WhatsApp-Verlauf, in dem sich Goethe und Schiller unterhalten – in einer Jugendsprache und mit modernen Ausdrücken. Das war eine Art, Literatur in unsere Welt zu übertragen. Goethe und Schiller chatten auf WhatsApp. Faust und Gretchen lernen sich über Tinder kennen. Jetzt könnte man sagen, dass das die Literatur zerstört, aber da steckt viel darin. Wenn man einmal den Zugang gefunden hat, kann man beispielsweise den Monolog von Faust in eine Audio-Nachricht verwandeln oder ihn als 30-Sekunden-Nachricht versenden. Es geht um die Übertragung von einem Medium in ein anderes.
Es kann nur der erste Schritt sein, das ist völlig richtig. Es ist ein Weg, die Literatur auf den einfachsten Nenner zu bringen, um die Angst davor zu verlieren.
Und: wie fühlt man sich nach dem Lesen eines Buches im Vergleich zu dem Konsum digitaler Medien?
Genau, wie fühlt man sich nach einer Stunde Buchlesen im Vergleich zu einer Stunde TikTok? Es ist nicht zu leugnen, dass die Schüler sich nach dem Konsum von TikTok leer und erschöpft fühlen. Das Buch verlangt nichts von ihnen, es liegt ruhig da und fordert nicht diese tausendfache Aufmerksamkeit.
Wie siehst du Schule in der Zukunft?
Ich denke, die größte Herausforderung liegt darin, die traditionellen Unterrichtsmethoden und -prüfungen zu überdenken und sich stärker auf kooperative und projektbasierte Lernformen zu konzentrieren. Es ist entscheidend, dass Schüler lernen, sowohl individuell als auch im Team zu arbeiten und dass sie dabei lernen, Informationen aus verschiedenen Quellen zu sammeln und kritisch zu bewerten.